Traumreise

 

Der Nachthimmel hatte mich schon immer fasziniert. Ich erinnere mich, wie ich schon als kleiner Junge der Dämmerung entgegenfieberte und dem erhebenden Moment, an dem die Sterne wie königliche Juwelen auf dem schwarzen Samt des Firmaments zu funkeln begannen. Atemlos stand ich in wolkenlosen Nächten draußen neben meinem Vater während unsere Fingerspitzen verglühenden Sternschnuppen und Lichtjahre entfernte Milchstrassen am Himmelsgewölbe entlangfuhren. Ich wünschte mir ihre Reise zu deuten, die Geheimnisse des Universums zu ergründen.
So schien es mir schon in die Wiege gelegt zu grübeln, zu philosophieren und die alten Schriften der Sterndeutung zu studieren – immer ein himmlisches Geheimnis witternd.

Und aus mir kleinen Tagträumer wurde mit den Jahren ein Gelehrter, ein gefragter Sterndeuter und Magier.

 

Manche Ereignisse im Leben durchschneiden das Leben unwiderruflich in Vorher und Nachher. Das Erscheinen eines gewaltigen Sterns brachte meine bisherige Welt zum Stillstand. In ungläubigem Staunen bohrten wir Astrologen unserer Fernrohre in das nächtliche Schwarz des Himmels, bis uns die Arme erlahmten. Unsere Messungen, alles kluge Berechnen und Deuten scheiterte an diesem Stern, er blendete unsere Augen und traf unser Herz mit der Endgültigkeit, dass alles was wir meinten zu wissen in seinem Schein bedeutungslos war. Was wollte uns der Himmel mit diesem außergewöhnlichen Erscheinen erzählen? Dies musste die Sprache der Götter sein.

Ich ahnte einen Wendepunkt für die gesamte Menschheitsgeschichte. Ein unbesiegbarer Weltenherrscher, ein gewaltiges Königreich nahm irgendwo im Westen seinen Anfang. Und ein Traum, eine Sehnsucht nistete sich in mein Herz. Ich wollte dem Stern dorthin folgen, wo dieses Gewaltige seinen Anfang nehmen sollte. So vielen hatte meine Sterndeutung die Zukunft vorausgesagt – jetzt wollte ich Teil der Zukunft sein. Dies war mein Moment sie mitzuerleben, zu berühren, hautnah zu spüren. Ihr ins Auge zu blicken.

Der Gedanke daran, was ich verlieren könnte, ließ mich schaudern. Der Traum würde mich alles kosten. Karriere, Reichtum. Mein Ansehen und den Respekt der Gelehrten-Gemeinschaft. Es war eine Reise ins Ungewisse. Man riet mir ab, erklärte mich zum Narren, schüttelte lachend des Kopf über soviel Dummheit. Ja, natürlich hatte man den Stern gesehen, aber deswegen solch ein Aufhebens zu machen?! Alle anderen zuckten mit den Schultern und gingen zum Tagesgeschäft über.

Und als ich schliesslich wider alle gutgemeinten Ratschläge in den schaukelnden Kamelsattel stieg, fühlte ich mich so nackt und unbedeutend wie nie zuvor. Ich hatte nichts. Keinen Plan, keine Route, keinen Zielort. Nur etwas tief in mir, das sich von diesem Stern leiten lassen wollte wie von einer göttlichen Stimme.

 

Nächtelang durchzog die Karawanne eiskalten, mondbeschienen Wüstensand. Der Weg schien endlos und beschwerlich, das Ziel immer mehr wie eine Fata Morgana. In der unbarmherzigen Mittagshitze verspottete das grelle Sonnenlicht den Traum in meinem Herzen. Wieder wie damals als Kind, erwartete ich sehnsüchtig den Sternenhimmel in der Hoffnung, dass er den nagenden Zweifel überstrahlen möge.

Ich ließ Land um Land hinter mir, bis mir der Blick in die Nachtlichter vergewisserte, hier westlich vom Jordan dem Ziel nahe zu sein. Ein fremdes Volk. Ich wähnte den Königssohn des neuen Zeitalters zwischen Huldigern in Samt und Seide verehrt, so bog ich vom sternenbeschienenen Pfad und lenkte die Karawanne zum Palast.

Doch am Königshof ging alles seinen gewöhnlichen Gang, keine Rede von einem Zeichen des Himmels. Die Gelehrten rollten zwar ihren heiligen Schriften vor mir aus, deuteten auf die Verheißungen ihres Gottes, einen Retter zu schicken – doch von einem überirdischen Gesandten fehlte jede Spur.

Bethlehem, wussten sie. Wenn es geschieht, dann in Bethlehem. Mein Herz pochte: Sollte ich tatsächlich so nah sein?! Mit anbrechender Nacht schloss sich ein weiteres Stadttor hinter mir und ich trieb die Tiere aufgeregt zu schnelleren Schritten an.

Der Stern tauchte das schlichte Strohdach des Viehunterstandes in pures Gold, ich betrat mit stockendem Atem den Stall, wusste nicht was ich hier erwarten sollte. Ich war am Ziel meiner Reise. Ich war angekommen.

 

Und so fand ich ihn. Einen unscheinbarer Säugling, mit einer einfachen Windel bedeckt schlief er klein und schutzlos in einem Futtertrog. Im Heu scharrte das Vieh und die blutjunge, müde Mutter hatte keinen Besuch erwartet. Ich konnte nicht in ihrer Sprache erklären was ich hier wollte, doch als ich überwältigt vor ihrem Kind in die Knie sank, sah ich ein verstehendes Lächeln über ihre Züge huschen. Sie erhob sich und überliess mir ihren Platz im Heu.

Und so fiel ich dort vor ihm zu Boden. Wie lange weiss ich nicht, Zeit spielte keine Rolle mehr. Ich bestaunte den vom Himmel Gekommenen. Betete das Göttliche an. Weinte vor Glück, dass die Sterne mich gerufen hatten, ihn zu finden. Berührte die winzigen Finger, die sich sofort um die meinen schlossen. Und während der Stern sein Licht mächtig über diesen Ort ergoss, fand all mein Jagen und Suchen, meine Unruhe und mein Sehnen Heimat in diesem Kindes. Es war ein Geheimnis das ich nicht verstand, den ich kannte diesen Gott nicht – doch er eroberte mein Herz wie ein starker Held, ein ewiger Vater, er nahm mich ein wie der wahre Friedefürst.

Ich bettete meine königlichen Geschenke unter den Futtertrog und drückte den Eltern dankbar die Hände. Ich gehörte nicht zu ihrem Volk. Warum der Himmel mich zum Eingeweihten gemacht hat, wird mir für immer ein Rätsel bleiben. Doch er selbst dieser unbegreifliche Gott hatte den Stern ans Firmament gesetzt, um mich aus weiter Ferne zu sich zu rufen. Die göttliche Vorsehung hatte mich an diesen Futtertrog geladen.

Und so machte ich mich schliesslich auf den Heimweg, die kostbaren Momente tief in meinem Herzen gehütet.

 

Was ich zu Hause berichtete verstanden nur wenige, doch ich war als ein Anderer zurückgekehrt.

Als Anbeter des einzigen Gottes im Universum, der den Sternen ihren Platz gibt, Träume in unser Herz legt und unsere Schritte dorthin lenkt, wo sich Himmel und Erde berühren.

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