Letzte Worte

 

Letzte Worte sind ja immer bedeutsam. Man erinnert sich an sie. Die seinen sind kein letzter Wille auf dem Totenbett, das hat er bereits hinter sich gelassen. Die Grabtücher säuberlich zusammen gefaltet. Jetzt ist er wieder quicklebendig und erwartungsfroh für die Reise in den Himmel.

 

Seine elf Freunde wird er in fünf Minuten zurücklassen hier auf dem Berg mit einer Mission so gewaltig dass ihnen der Atem stockt und das Herz zusammenzuckt. Seine heutigen Worte platzen in ihre gestrigen Überlegungen den Fischfang wieder aufzunehmen. „Geht hin in alle Welt. Verkündet. Machet zu Jüngern.“

Tatsächlich!? Sie sind ja kaum mal über ihren Landkreis hinausgekommen die Elf. See Genezareth, ja da kennen sie sich aus. Dorfklatsch, Fischverkauf an der Strandpromenade und die Launen der nächtlichen Stürme. Das ist ihre Welt. Doch um die soll es jetzt ja nicht mehr gehen.

 

Schon die ersten Worte an sie gerichtet – damals vor ein paar Jahren – rüttelten an ihrem Leben, das gut Bürgerliche geriet aus den Fugen für die Umschulung zum Menschen-Fischer. Und jetzt sollen diese letzten Worte auch den Rest ihr Lebensplanung über den Haufen werfen!? Die Antwort bleiben sie ihm schuldig, der Mund bleibt offen stehen als eine Wolke ihn einfach fortträgt.

So. Da stehen sie jetzt. Allein. Die lokalen Jungs vom See Genezareth. Die keine Ahnung vom Ende der Welt haben oder wo das überhaupt liegt. Doch soweit müssen sie erst gar nicht gehen. Denn noch näher als jede Landesgrenze finden sie eine Grenze mitten im ihrem Inneren. Eine unüberwindliche Mauer die ihnen schadenfroh ins Gesicht grinst. Größtes Unternehmen aller Zeiten? Ha, nur schade dass es an die falsche Adresse ging. Elf Looser und Feiglinge. Statt Supermännern eine Handvoll von Gewissensbissen zernagte Seelen. Nein, sie sind alle nicht auf dem Höhepunkt der geistlichen Karriere. Höhnisch schnüren Selbstzweifel und Schuldgefühle den Herzen die Luft ab. Ausgerechnet ihr!? Völlig lächerlich, ihr Versager!

 

Und da stehe ich plötzlich neben ihnen wie die Nummer 12 im Bunde. Gerufen mit einem Auftrag, so groß dass mir schwindelt. Und wir 12 würden am liebsten auseinander stieben in panischer Suche nach einem Mauseloch.  „Keine Zeit!“ will ich rufen und „Schick jemand anderes!“ und mir die Finger in die Ohren stopfen. Doch er meint mich genauso wie die Elf. Ja, er meint mich.

Stellt sich mitten in meine kleine Welt, in der ich doch ach so sicher und geborgen zwischen meinen weichen Sofakissen sitze und bringt alles durcheinander. Rüttelt und schüttelt bis mein wohlgeordnetes Weltbild aus den Regalen purzelt. Ist wie ein Demonstrant mit unbequemen Parolen mitten in meinen vier Wänden, wo es gemütlich ist und meine Hausordnung auf deutsch an der Wand hängt. Das ist meine Welt. Doch um die soll es ja nun nicht mehr gehen.

Meine Seele sitzt noch in Bequem-Hosen auf der Couch, mein Mund bleibt offen stehen wie der ihre, nach seinem Besuch in meiner Welt. Der Wind bläst rau herein, bläst verwelkte Blätter um meine Hausschuhe. Ich wünschte, er hätte die Tür ordentlich hinter sich geschlossen.

 

Da stehe ich nun im Türrahmen, der Schwelle meiner kleinen Welt. Zweifelnd, genauso unsicher, ungläubig wie sie. Und doch im Tiefsten irgendwie auch überzeugt, dass dieser Auftrag alternativlos ist, wenn ich ernsthaft zu ihm gehören will.

Ich halte meine Nase in die Luft. Es riecht nach Unbekanntem und Risiko und ein bisschen nach Angst-Schweiß. Der erste Schritt hinaus in alle Welt fühlt sich an wie klebriger Kaugummi. Doch dann beim zweiten – wusch – da erfasst mich sein unbändiger Geist und trägt mich hinaus in alle Welt. In seine dunkle, zerbrochene, geliebte Welt. Um einfach zu tun was er tat und schon für mich vorbereitet hat: Füße zu waschen. Herzen zu verbinden. Mutig zu erbitten. Leidenschaftlich zu leben. Aufmerksam zu lieben. Wunder zu sehen. Unwahrscheinliches zu erhoffen. Demütig zu dienen. Göttliches zu verstehen. Großzügig zu geben. Außerordentlich zu leben. Wahrhaftig zu glauben. Und für immer vom Traum seiner letzten Worte erfüllt zu sein. Damit sein Reich komme. Und sein letzter Wille geschehe. Wie im Himmel so auf Erden.

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