Kirchenbank

 

Ich liebe ihre alten Mauern. Die Ehrwürdigkeit der massiv geschnitzten Eichentür, gegen die ich mich mit ganzem Gewicht stemmen muß, um sie aufzudrücken.

Und dann hüllt sie mich ein. Im Sommer mit ihrer Kühle, die mich erleichtert aufatmen lässt und mir dem heißen Stadtstaub von der Seele wäscht. Im Winter ziehe ich den Mantelkragen noch höher und zurre den Wollschal eng. Doch ich will nicht missen, hier zu sein.

Nur eine Ecke entfernt von dort, wo mein Leben tobt, tanzt und spielt steht sie, meine alte Kirche. Mit ihrer endlos langen Geschichte Gotteshaus zu sein. Mit Sicherheit dokumentiert in verstaubten Archiven.

 

Doch während meine Hand über die abgesessenen Kirchenbänke streicht,  sinne ich über den vielen Geschichten, die keinem Autor nennenswert schienen und um die die Welt nicht weiß.  Dieses Gemäuer ist gefüllt von allen, die hier gefleht, geklagt und den Himmel bestürmt haben. Von zerknirschter Reue, Gnade und Vergebung. Von stummen Stoßgebeten. Oder dem Dank unter heißen Tränen. Da sind die, die mit strahlenden Augen und lauten Worten ihr Lob von dem alten Wänden widerhallen ließen. Erhebenden Gesängen. Und denen, die vielleicht hier vor Jahren Schutz suchten vor Feuerstürmen und Kriegsgeschrei und bangten um Leib und Leben. Die so im krassen Gegensatz stehen zu denen, die heute flüsternd einander die Kunst-Epochen der Altar-Schnörkel erklären oder entzückt das Krippenspiel ihrer Kleinen beklatschen.

Sie alle haben irgendwie eine Verbundenheit mit diesem Ort.  Und vielleicht eine leidenschaftliche, turbulente, gleichgültige, inspirierende oder verzweifelte Geschichte mit dem Allerhöchsten, den auch ich hier suchen will.

 

Was dachten sich die Erbauer, die sicherlich mit Schweiß, Einsatz und Vision dieses Gotteshaus errichteten? Wollten Sie nur den Bauherrn der Kathedrale um die Ecke übertrumpfen? Oder linsten sie auf den gefüllten Geldsack als Entgelt für ihre architektonische Brillanz und Glanzleistung? Vielleicht. Aber ich mag es zu denken, dass hier auch eine ordentliche Portion Sehnsucht und ehrfürchtige Freude im Spiel war, etwas Majestätisches, dem Höchsten würdig zu erschaffen.

Meine Kirche ist offen, menschenleer und totenstill. Ich gleite lautlos in die Holzbank. Reihe mich mit meiner kleinen ein in ihre große Geschichte.

 

Na klar – ich weiss, es braucht kein altes Kirchengemäuer, um mich dem Allerheiligsten zu nahen. Ich kann allerorts bei ihm sein und jederzeit. Sein Geist hat in meinem Innersten Wohnung genommen, belebt und wispert in meinem vollen heiligen Alltag zwischen Wäschebergen, Laptop und Kindertrotz.

Doch hier, an diesem Ort, der der Gottesbegegnung erbaut und geweiht wurde, in dem es noch nach einer Spur von Weihrauch riecht und das überdimensionale Kreuz meinen Blick zu sich zieht, fällt es mir irgendwie leichter den Blick auf das Göttliche zu richten als in meiner lauten Welt, in der alles um meine Aufmerksamkeit schreit. Dieser Ort stülpt sich wie ein schalldichter Kopfhörer für kurze Zeit über mein reizüberflutetes Trommelfell und lässt gelassen mal alles ach so Dringende draussen weiterbrüllen. In mir breitet sich Stille aus.

 

Viele die ich kenne, finden ihren Ort der Anbetung einfacher draußen, wo die Natur so unüberhörbar die Gegenwart Gottes atmet, dass alles Menschliche zurücktreten muss. Ihre Gebete spiegeln sich im Sonnenaufgang und in klaren Seen, in den Bergen und im Wald. Sie finden Gott im Blühen, im Abendstern, im Flattern des Schmetterlings oder mitten auf der Kuhweide. Einfach dort, wo es wild und majestätisch und atemberaubend und detailversessen und faszinierend ist, als wäre diese Schönheit eine fortwährende göttliche Unterschrift unter die Welt, die uns zum Zuhause gemacht wurde. Und wo man das grosse Amen am Abend der Schöpfung staunend mitflüstern muss: Ja tatsächlich, sehr gut. Ich liebe es zu hören, wenn die anderen da mittendrin einen Altar bauen.

Doch ich ticke da irgendwie anders. Mich inspiriert vor allem die Handschrift derer, deren Gottesgeschichte sich irgendwo mit der meinen kreuzt. Zum Beispiel hier in meiner alten Kirche. Die vor Gottesoffenbarung strotzt. Wo ich manchmal die alte Nonne beobachte, die sich andächtig vor dem Kreuz neigt. Oder gelegentlich neben dem gutangezogenen Geschäftsmann durch die Kirchentür eile für ein schnelles Stoßgebet. Oder eben auch dann, wenn so wie heute keiner dort ist, ich aber so viele Geschichten erahne in den Kratzern der Kirchenbank, dem ausgebleichten Vorhang am Beichtstuhl. Wo die ausgetretenen Steintreppen am Eingang und die viel benutzten Kniebänkchen stumme Zeugen der Beziehung zum Himmel sind.

 

Hier fühle ich mich in guter Gesellschaft. Hier bin ich eine unter vielen Gottsuchern. Eine, die sich nach Antworten sehnt und manchmal schwer am Alltagsrucksack trägt. Anbeten will, besonnen werden und mich wiederfinden. Ein Stammplatz, an dem Gottes Geist schon ein warmes Sitzkissen mit meinem Namen in die Bank gelegt hat. Ort der Verabredung zweier Liebenden. Denn irgendwie – Gott sei Dank – finden in den hohen Decken meine vielen Durcheinander-Gedanken ihren Platz und meine unsortierten Gebete einen offenen Himmel. Das gewaltige Gewölbe lässt meine Alltags-Riesen so klein werden, dass ich sie unkompliziert wieder in die Tasche stecken kann. Göttliche Worte und unerklärlicher Friede fallen in mein Herz. Heiliges Tauschgeschäft.

 

Es ist Zeit. Kindergartenkinder gehören nicht zu den geduldigen Wartern. Ich drücke die Kirchentür auf. Draussen hat es geregnet. Doch genau hier vor der Tür trifft mich ein Sonnenstrahl und wirft das Ende eines kaum sichtbaren, winzigen Regenbogens vor meine Füße, der sich in einer Straßenpfütze spiegelt. Mein Schritt stockt. Hach, danke für‘s Erinnern!

Du spannst den Bogen des Versprechens von der andächtigen Stille deines Gotteshauses bis zu meiner unaufgeräumten Familien-Bude.

Ich war in deinem Haus. Du warst mein Gastgeber, der die Seele gefüttert und das Herz satt gemacht hat, wie das kein anderer kann. Und heute abend wirst du wieder auf meiner Couch zuhause sein und im fröhlichen Lärm des Alltagschaos mitmischen.

 

Und so soll es sein in meiner Welt. Gegenseitig  im Haus des anderen Zuhause sein, so wie gute Freunde wissen, wo noch heimlich Schokolade versteckt ist und sich ohne Scheu am Kühlschrank selbst bedienen.

Ich liebe dein Haus. Und ich weiß, du liebst das meine.

Und überall dort wo du bist, ist heiliges Land.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0