Unbezahlbar

Sie sind allesamt wunderschön. Seidiges Haar fällt über ihre Schultern.

Ihr Körper scheint makellos. Lange Wimpern, gebräunte Haut. Perfektes Make-up. Den Männern eine Augenweide.

 

Ich trete aus dem stockdunklen Abend in ihre erleuchtete Wärme, hier wo sie leben, arbeiten, essen, schlafen. Doch von Zuhause will ich nicht reden.

Mein dicker Wollschal steht im krassen Kontrast zu ihrer leichten Arbeitskleidung.

Ich passe nicht hierher mit meiner zerzausten Kurzhaarfrisur und meinen Fellstiefeln ohne Absatz. Mit einem Körper von zuvielen Geburtstagen, Fastfood und Schwangerschaften recht mitgenommen und einem spärlichen Make-up, das jetzt am Abend nur noch als verwischter Hauch auf meinen Wangen liegt.

Und ich stehe hier, mittendrin, wo sie Tür an Tür im Licht rotblinkender Neonröhren ihre Schönheit zu einem schockierenden Spottpreis verkaufen.

Ihren Namen will ich nicht nennen und der tut auch nichts zur Sache, denn ihr wahres Ich wohnt nicht hier in diesen 8qm2 mit dem überdimensionalen Bett.

Tür Nummer 3, die Schöne aus dem Süden, wo es keine Arbeit und keine Perspektive gibt. Wir wechseln einen Händedruck. Ein Lächeln, eine Geste. Denn Worte zu wechseln ist nicht möglich. Könnte, würde sie sonst in Worte fassen, was ihr widerfahren ist? All das Leid, das Ausgeliefert-Sein? Von Gefangenschaft ohne Ketten erzählen, Herzeleid, leeren Versprechen und dem, was hier Alltagsrountine geworden ist? Keine Frau erträumt sich ihre Zukunft auf der Matratze eines Flatrate-Bordells. Rot-beleuchteten Endstation.

Sie lächelt nochmals, zuckt die Schultern. Lächeln gehört zum Geschäft.

 

Tür Nummer 5, die Schöne aus dem Osten kann sich immerhin gebrochen verständigen – Gott sei Dank! Sie zieht mich in ihr Zimmer, zeigt auf die kleine Heiligenbildchen, die sie zum Schutz an ihre Wände geheftet hat. Bewahrung für sich und ihre 14Jährige und vor dem Alptraum, dass ihre Tochter die lang versteckte Wahrheit erahnt. Alles hier atmet verzweifelte Hoffnung auf eine bessere Zukunft für ihr Kind. So viele Wortfetzen brechen aus ihr heraus wie aus jemandem, dem schon lange niemand mehr in die Augen gesehen hat. Nicht alles verstehe ich. Auf vieles habe ich keine Antwort. Sie umklammert meine Hände zum Abschied. Drückt sie, bis es schmerzt.

Mutterliebe ist gewaltig und stark, selbst in dieser Hölle pocht ihr Herzschlag weiter und berührt denke ich an die Frau, deren selbstlose Fürsorge so fast selbstverständlich für mich ist, weil sie eben meine Mutter ist.

 

Tür Nummer 8, die Schöne – schmächtig und mit einem Hauch von Exotik – die hier arbeitet weil der Bruder im fernen Land so krank ist und die teure Behandlung der einzige Hoffnungsfaden an dem sein Leben hängt. Undenkbar für die Familie, das Geld aufzubringen. Wie gross muss die Angst und die Liebe sein, dass es für sie, diese hier Fremde, denkbar wurde diesen hohen Preis zu zahlen? Sein Leben für ihre Seele? Mir krampft sich das Herz zusammen wenn ich an meinen Bruder denke, den vor Leben Strotzenden. Einem der Verlässlichen in meinem Leben und immer da, wenn ich ihn brauche.

 

Tür Nummer 12, die Schöne aus Rumänien, die lediglich ihre Dienstleistungen in deutscher Sprache beherrscht. So jung und unschuldig wirkt, dass es mich schaudert und ich meine Gedanken nicht weiterspinnen lassen will. Bilder sprechen oft mehr als Worte – wie die vom Heimweh und Vermissen abgegriffenen Familienphotos auf ihrer Kommode. Wie ist dieses Kind hierher gekommen in diese gnadenlose Spirale von Gewalt und Menschenhandel? Fragt ihre Mutter jede Stunde voller Angst wo ihre Tochter ist, oder hat sie sie vielleicht sogar in diesen Teufelskreis verkauft um die anderen hungrigen Mägen zu füllen, die zuhause um den Tisch sitzen? Ich denke an meine eigenen wunderschönen Töchter und mein Herz will in tausend Stücke zerspringen.

 

Tür Nummer 15, hier wohnt die Chefin wie sie sie nennen. Und wie eine solche gibt sie den Ton an, respektiert und gefürchtet. Die Schönheit dieser Patriarchin hat gelitten und ist doch noch immer in ihre Züge gemeiselt. Sie ist nicht herzlos, o nein. Sie weiss, wie hart die Arbeit ihrer Mädchen ist. Sie versteht, denn so viele Tränen hat sie selbst geweint. Doch zu viel Mitgefühl macht das Geschäft kaputt. Und am Ende des Tages muss die Kasse klingeln, man ist ja hier schliesslich nicht zum Spass. Und Geld, ja das kann man hier gutes verdienen. Die Gier, die einen an diesen Ort bindet mit goldenen Fesseln, die kennt sie selbst am Besten.

Der Altersunterschied ist gross, die Chefin könnte die Grossmutter manches Mädchens hier sein. Duldet mit einem Augenzwinkern, dass ich hier bin. Ihren Mädchen etwas Gutes tun will.

Und während ich in der Teeküche sitze und die Mädchen abends um 9 noch verschlafen den ersten Kaffee einer langen Nacht schlürfen, steht ihr Bild mitten hier am Küchentisch vor mir. Eine kleine geschäftige Frau, die ihre geisterfüllten, weisen Grossmutter-Spuren in meinem Leben hinterlassen hat. Ihr einfaches, kostbares Erbe, das ich für immer in meinem Herzen tragen werde und das hoffentlich noch in kommenden Generationen leben wird.

 

Am Ende des Abends habe ich aufgehört, die Türen zu zählen, an die ich heute geklopft habe. Heruntergekommene, abgelegene Industriecontainer, geschniegelte Edel-Puffs. Ich kann mich weder an die vielen Namen erinnern, noch mir alle Gesichtszüge einprägen. Es sind zu viele.

Zuviele Schicksale, die mir das Herz brechen wollen. Zuviele Mütter, Töchter, Schwestern, Grossmütter, denen genommen, geraubt, verkauft wurde wozu sie einmal erdacht und geschaffen waren.

Ihre schönen Gesichtszüge lächeln und ihre Körper scheinen oberflächlich unversehrt, doch ich frage mich wie viele Seelen-Trümmer sich in diesen Wänden türmen. Herzen, denen soviele Wunden geschlagen wurden, dass sie sich wie tot anfühlen.

 

Ich bin eine Fremde in dieser Welt. Meine Welt, die riecht eigentlich nach selbstgebackenem Apfelkuchen, Einfamilienhaus, und dem warmen Duft schlaftrunkener Kinder, die sich morgens in mein Bett kuscheln.

Doch ich will es wieder und immer wieder wagen die Seifenblase meiner kleinen heilen Welt platzen lassen. Auszubrechen. Hinzugehen. Es auszuhalten, mich fehl am Platz zu fühlen. Denn was bitteschön, habe ich getan um ein besseres Schicksal zu verdienen? Wurde darüber nicht ohne mein Zutun an höherer Stelle entschieden? War nicht vieles einfach ohne Nachfrage mir in die Wiege gelegt, damit ich lebensfroh heute sein kann, was ich bin?

 

O nein, ich bin bestimmt keine Bessere, lediglich eine die besser dran ist. Und aus diesem Grund will ich zwischen all diesen Türen, der Sehnsucht ein Gesicht geben und Hoffnung mit beiden Hände verteilen. Mut verschenken. Ihnen eine Stimme geben, ihre Geschichten erzählen. Will ehrliche Fragen stellen, mich fragen lassen und gnadenlos hinterfragen. Nicht weiter mich mit billigen Antworten zufrieden geben, denn spottbillig gibt es in diesem Mileu hier wahrhaft genug.

Zu lange akzeptieren wir –  unbedarfte Staatsbürger und fromme Kirchgänger gleichermassen – wie dieses Land zum Bordell Europas ausartet? Da wollten uns gewisse Medien weissmachen, dass sich mit einer fragwürdigen Gesetzesänderung für unzählige Frauen der Lebenstraum schlechthin mit einer endlich legalen Matraze im Milieu erfüllen würde. Ich will jetzt wahrhaftig nicht besserwisserisch klingen, aber im letzten Jahrzehnt sind mir davon kaum welche untergekommen. Dafür spielen wir endlos Unschuldige in die Händer von Menschenhändlern und Mafia. Sklaven säumen unsere Strassen, mitten in unserer Saubermann-Provinz. Und solange sie für uns unsichtbar bleiben, bleiben wir unberührt untätig. Statt mal aufzustehen und laut zu schreien gegen einen Staat der in Wahrheit wie ein Zuhälter immer schön mitverdient und ganz offiziell fleissig Steuergelder abkassiert von all den – ach so legal – unermüdlich Arbeitenden. Als wäre dieses Unrecht es nicht wert dass wir deswegen die Stimme erheben, obwohl wir am Fussballplatz und Stammtisch unverdrossen weiterhin lautstark unsere Meinung hinausposaunen.

Wann ist unser Mitgefühl und das letzte Zipfelchen Anstand auf der Strecke geblieben? Vielleicht damals, als wir den Polizisten Handschellen anlegten indem wir sie mit neuen Gesetzen unfähig machten, sich für Gerechtigkeit einzusetzen?

 

Ich habe zwei Töchter. Noch sind sie klein. Unschuldig. Ahnungslos. Doch der Tag wird kommen und er dämmert schon am Horizont an dem sie verstehen werden, dass Einfamilienhaus und Familienbesuch zum Sonntagskaffee nicht aller Menschen Realität ist.

Und dann will ich mutig erzählen von diesen Schönen, den Müttern, den Töchtern, Schwestern und Grossmüttern. Denen, die uns eigentlich so ähnlich sind.

Und ich will mit ihnen beiden gemeinsam weiter den Himmel anflehen, damit er uns “erlöse von dem Bösen”, bevor Herz und Seelen blutleer sind.  Und glauben, dass sie, diese Schönen eines Tages in ihrem Spiegelbild wieder Würde sehen, die unbezahlbar ist.

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